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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 24.09.2002
Aktenzeichen: 19 W 232/02
Rechtsgebiete: WiPO, RPflG, ZPO, EGZPO, BGB


Vorschriften:

WiPO § 43 Abs. 1
RPflG § 11 Abs. 1
ZPO § 3
ZPO § 91
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 104 Abs. 3
ZPO § 567
ZPO § 569
ZPO § 577 Abs. 2 a.F.
EGZPO § 26 Nr. 10
BGB § 315
Die Kosten eines während des laufenden Prozesses eingeholten Privatgutachtens sind nur erstattungsfähig, wenn der Sachverständige unabhängig ist. An der (äußeren) Unabhängigkeit fehlt es z.B., wenn er in derselben Sozietät wie der Prozessbevollmächtigte des Auftraggebers tätig ist.
Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: 19 W 0232/02

Beschluss

des 19. Zivilsenats

vom 24.09.2002

In dem Rechtsstreit

wegen Kostenfestsetzung

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxx, Richterin am Landgericht xxxxxxxx und Richterin am Amtsgericht xxxx

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Leipzig vom 28.12.2001, Az. 6 HKO 3874/97, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.

3. Der Beschwerdewert beträgt 336.949,15 Euro.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 28.12.2001 hat das Landgericht Leipzig die von der Beklagten an die Klägerin nach dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Leipzig vom 02.06.1999 zu erstattenden Kosten einschließlich Gerichtskosten von 52.393,50 DM auf 87.938,50 DM nebst 4 % Zinsen seit 25.04.2001 festgesetzt.

Von dem Antrag der Klägerin abgewichen ist das Landgericht, indem es die Festsetzung von Avalprovisionen i.H.v. 8.685,36 Euro und von Privatgutachterkosten i.H.v. 336.949,15 Euro abgelehnt hat.

Letzteres hat das Landgericht damit begründet, dass der Verfasser des Gutachtens der Anwaltssozietät angehöre, welche die Prozessvertretung der Klägerin übernommen habe. Es läge daher kein Schriftwerk eines objektiven, neutralen und unabhängigen Sachverständigen vor.

Davon abgesehen sei das Gutachten auch nicht zur Herstellung der "Waffengleichheit" erforderlich gewesen. Da das Gutachten erst acht Monate nach Erlass eines Hinweis- und Auflagenbeschlusses, welcher eine Acht-Wochen-Frist gesetzt hatte, vorgelegt worden sei, habe es sich bei dem Gutachten nicht um eine Antwort auf das Verlangen des Gerichts nach Substantiierung handeln können. Das Gutachten sei daher nicht zwangsläufig notwendig gewesen.

Gegen den am 25.01.2002 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 08.02.2002, eingegangen am selben Tag, Beschwerde eingelegt, soweit die Avalprovisionen und die Privatgutachterkosten nicht festgesetzt worden sind.

Hinsichtlich der Avalprovisionen hat die Klägerin die Beschwerde mit Schriftsatz vom 05.04.2002 zurückgenommen, da die Beklagte die Summe mittlerweile gezahlt habe.

Im Übrigen begründet die Klägerin die Beschwerde wie folgt:

Es bestehe kein Zweifel an der Gutachtereigenschaft. Insbesondere wäre es unschädlich, wenn der Gutachter in einer Beraterbeziehung zum Auftraggeber stehe, was hier nicht der Fall sei, so lange es sich bei dem Gutachten nicht nur um eine "ganz einseitige 'gutachterliche', in Wahrheit völlig unbrauchbare Stellungnahme" handele. Hier sei das Gutachten von zwei Wirtschaftswissenschaftlern erstellt worden; der Gutachter xxxxxx habe sich gemäß § 43 Abs. 1 Wirtschaftsprüferordnung unparteiisch verhalten. Das Gutachten sei unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit erstattungsfähig, da die Antragsgegnerin zuerst Gutachten eingeholt habe. Außerdem habe es zusätzlich der Substantiierung gedient: Durch das Gutachten sei eine Reaktion auf den Hinweis- und Auflagenbeschluss vom 19.12.1997 binnen acht Wochen möglich gewesen. Das Gutachten habe auch den Ausgang des ganzen Verfahrens entscheidend beeinflusst, wie die Bezugnahme des Oberlandesgerichts Dresden im Urteil vom 02.12.1999 (A 11, S. 33) zeige.

Die Beklagte hat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Den Verfassern des Gutachtens fehle sowohl die Sachkunde als auch die Neutralität, da sie Mitglieder der die Klägerin vertretenen Anwaltssozietät seien. Als Reaktion auf den Hinweis- und Auflagenbeschluss des Landgerichts sei Tatsachenvortrag, aber kein Gutachten erforderlich gewesen. Zum Tatsachenvortrag sei die Klägerin aber auch ohne Gutachten in der Lage gewesen. Soweit das Gutachten Rechtsausführungen enthalte, seien diese sowieso nicht erstattungsfähig. Es läge auch kein Fall der Herstellung von Waffengleichheit vor. Vielmehr habe die Beklagte Hilfe von außen benötigt, um auf den Vortrag der Klägerin reagieren zu können. Da das Gutachten erst neun Monate nach Erlass des Hinweis- und Auflagenbeschlusses eingereicht worden sei, könne auch nicht von einer Reaktion auf diesen Beschluss gesprochen werden. Zudem seien die Kosten unangemessen hoch.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 104 Abs. 3, 567, 569, 577 Abs. 2 ZPO a.F. zulässig. Gemäß § 26 Nr. 10 EGZPO findet noch die ZPO in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung Anwendung, da der angefochtene Beschluss vor dem 01.01.2002 der Geschäftsstelle übergeben worden ist.

In der Sache ist die sofortige Beschwerde unbegründet. Das Landgericht hat zutreffenderweise von der Festsetzung der Kosten des Privatgutachtens abgesehen.

Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die im Verfahren unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Hierzu gehören auch die Kosten, die dem Prozessgegner erwachsen sind, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, wobei dies aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei beurteilt werden muss. Es muss sich um Kosten handeln, die eine verständige Partei unter Berücksichtigung der objektiv gegebenen Prozesslage sinnvoller Weise aufwendet, um den von ihr verfolgten Zweck eines Obsiegens zu erreichen. Denn es muss einer Partei zugestanden werden, dass sie alle die Maßnahmen vornimmt und damit auch alle die Kosten aufwendet, die in einer bestimmten Prozesslage für eine verständige Partei sachlich geboten erscheinen, um den Prozesserfolg zu erreichen. Nach diesen Grundsätzen sind nach § 91 ZPO von der unterliegenden Partei der obsiegenden Partei auch die tatsächlich gemachten Aufwendungen für ein von einem Sachverständigen erstelltes Privatgutachten zu erstatten, wenn das Gutachten zur sachgerechten Wahrnehmung des Interesses der Partei am Obsiegen im Prozess erforderlich gewesen ist und die gemachten Aufwendungen zur Erlangung dieses Gutachtens notwendig waren.

1. Die Kosten sind bereits nicht erstattungsfähig, da die Verfasser des Gutachtens nicht alle Anforderungen erfüllen, die an einen Sachverständigen, sei es als Verfasser eines gerichtlichen, eines behördlichen oder eines privat in Auftrag gegebenen Gutachtens, zu stellen sind. Es fehlt an der zu fordernden Unabhängigkeit, jedenfalls an der sog. äußeren Unabhängigkeit.

Objektivität, neben der Sachkunde das wichtigste Merkmal der Sachverständigentätigkeit, bedeutet, dass das Ergebnis der Sachverständigentätigkeit nicht durch wirtschaftliche oder institutionelle Abhängigkeiten beeinflusst ist. Das Handeln des Sachverständigen darf allein an sachlichen Maßstäben ausgerichtet sein und nicht objektiven Beweggründen folgen (siehe Bayerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 3. Aufl., § 2 Rdn. 25). Die Unabhängigkeit des Sachverständigen soll ein objektives Gutachten ermöglichen. Sie kann in verschiedener Hinsicht, etwa durch Weisungsbefugnis eines Dritten, wirtschaftliche Abhängigkeit oder durch persönliche oder rechtliche Verbundenheit mit einem Beteiligten gefährdet sein.

Ob die Tatsache, dass beide Gutachter Mitglieder der selben Sozietät waren, die die Auftraggeberin des Gutachtens im Prozess vertreten hat und weiterhin vertritt, tatsächlich zu einer (inneren) Abhängigkeit der Gutachter und dadurch zu einem objektiv falschen Ergebnis des Gutachtens geführt hat, kann offen bleiben. Die erforderliche Unabhängigkeit ist bereits zu verneinen, da mit der Sozietät Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, eine vernünftige Partei an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zweifeln zu lassen. Im vorliegenden Prozess hat die Klägerin naturgemäß ein Interesse an einem ihr günstigen Verfahrensausgang. Zur Vertretung eben dieses Interesses hat sie die Sozietät beauftragt, wobei der Vertrag nicht eine neutrale Rechtsberatung, sondern eine interessengebundene Parteivertretung beinhaltet. Da sie das Gutachten als entscheidungserheblich ansieht - sonst wäre es nicht in Auftrag gegeben worden -, hat sie auch ein Interesse daran, dass die Gutachter zu einem ihr günstigen Ergebnis gelangen. Wenn mit der Erstellung des Gutachtens Personen aus der selben Sozietät beauftragt werden, sind Zweifel der Beklagten an der Unparteilichkeit der Sachverständigen selbst dann nachvollziehbar, wenn sich die Gutachter nicht an den Auftrag zur Prozessvertretung gebunden fühlen. Durch den Auftrag ist die gesamte Sozietät an einem günstigen Verfahrensausgang für die Klägerin interessiert, da dies jedenfalls indirekte wirtschaftliche Vorteile für die Sozietät zur Folge haben kann (weitere Aufträge durch die Klägerin, Weiterempfehlung ...). Es liegt daher keine äußere Unabhängigkeit der Gutachter vor.

2. Darüber hinaus liegt aber auch keine der Voraussetzungen vor, unter denen die Kosten für ein von einem objektiven Sachverständigen erstelltes Gutachten erstattungsfähig wären.

Die Kosten eines vor oder während eines Rechtsstreits eingeholten Privatgutachtens sind nur ausnahmsweise erstattungsfähig, nämlich dann, wenn eine ausreichende Grundlage für die Klage oder das weitere Vorbringen nur durch einen Sachverständigen beschafft werden konnte, das Gutachten also zur Durchführung des mit der Klage verfolgten Anspruches erforderlich war (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 22. Aufl., § 91 Rdn. 13 "Privatgutachten"). Insbesondere bei prozessbegleitenden Gutachten, um die es hier geht, ist ein strenger Maßstab an die Notwendigkeit der Beauftragung eines Sachverständigen anzulegen (Zöller-Herget, a.a.O.; OLG Koblenz, JurBüro 1992, 475; OLG Stuttgart, NJW-RR 1996, 255). Denn in diesem Verfahrensstadium ist es primär Sache des Gerichts, die erforderlichen Beweise einzuziehen (MünchKomm-Belz, ZPO, § 91 Rdn. 55; Schneider MDR 1965, 963). Kosten für private Gutachten dürfen daher im Kostenfestsetzungsverfahren nur ausnahmsweise berücksichtigt werden, u.a. wenn die Sachkunde der Partei für die tatsächliche Erfassung des Sachverhaltes nicht ausreicht (schwierige technische, medizinische und wirtschaftliche Fragen), die zur Anspruchsbegründung/Verteidigung erforderlichen Tatsachen von einem Sachverständigen beschafft werden müssen (z.B. Marktumfrage) oder eine fachunkundige Partei einem Gegner gegenübersteht, der entweder sachkundig ist, oder selber Privatgutachten eingeholt hat ("Waffengleichheit").

a) Die vom Landgericht im Hinweis- und Auflagenbeschluss vom 19.12.1997 (Bl. 966 dA) an die Klägerin erteilte Aufgabe, ihre Kalkulation offen zu legen, hätte die Klägerin auch ohne die Hilfe eines externen Sachverständigen erfüllen können. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine Fernwasserversorgungsgesellschaft nicht die notwendige Sachkunde für die Kalkulation ihrer eigenen Wasserpreise besitzen sollte. Hinzu kommt, dass der Beschluss nur nach der Kalkulation für den streitgegenständlichen Zeitraum, also für die Vergangenheit, fragte, wie sie von der Klägerin durchgeführt wurde, nicht aber, wie sie lege artis hätte durchgeführt werden müssen. Diese konkrete Fragestellung beantwortet das Gutachten umfassend im 3. Kapitel (S. 10 bis 34 des Gutachtens), wobei es sich insoweit um die Wiedergabe von Fakten und Daten der Klägerin, und nicht um eine eigene gutachterliche Leistung handelt. Die übrigen ca. 400 Seiten des Gutachtens gehen über die Fragestellung im Beschluss hinaus, indem sie sich mit den theoretischen Grundlagen der Preiskalkulation und dem Kapazitätsbedarf der Klägerin befassen sowie einen eigenen Kalkulationsansatz für den Zeitraum 1995 bis 2010 erstellen.

b) Auch aus dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit lässt sich keine Pflicht zur Kostenerstattung herleiten. Von den "zahlreichen" Gutachten, die die Beklagte in den Prozess eingeführt hat, können für die Frage der Waffengleichheit nur solche von Bedeutung sein, die bereits vorlagen, als die Klägerin ihrerseits das Gutachten in Auftrag gegeben hat (06.01.1998), nämlich die gutachterliche Stellungnahme der xxx vom 30.11.1995 (Bl. 485 ff. dA) und der "Bericht" der xxxxxxxxxxxxx vom 20.11.1997 (B 51 im Anlagenband).

Beide Gutachten befassen sich mit der Kostenstruktur bzw. der Möglichkeit der Kostenreduzierung in der klägerischen GmbH und wurden von Gesellschaftern der Klägerin in Auftrag gegeben, nachdem sie von der Klägerin auf Zahlung eines höheren Wasserpreises verklagt worden waren. Die Gutachten dienten somit dazu, Waffengleichheit zwischen der Klägerin mit ihrem "Insider"- und Expertenwissen über den eigenen Betrieb und die eigene Kalkulation und den jeweiligen Prozessgegnern herzustellen. Ein Gutachten auf Klägerseite war als Reaktion aufgrund eigener Sachkunde nicht erforderlich. Dies wird auch daran deutlich, dass das Landgericht als Reaktion auf das xxxxxxxx-Gutachten nicht selbst ein gerichtliches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben hat, sondern die Klägerin lediglich aufgefordert hat, ihre eigene Kalkulation offen zu legen.

c) Das Gutachten hat auch keinen erkennbaren Einfluss auf den Verfahrensausgang genommen, da sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht von einer Einigung auf einen Preis von 0,80 DM/m³ ausgegangen sind und § 315 BGB nicht angewendet wurde.

Da andere Anhaltspunkte, die eine Kostenfestsetzung rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich sind, könnte diese auch unabhängig von der Frage der Objektivität der Gutachter nicht erfolgen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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